Samstag, 8. Februar 2014






Sechstens - Michelangelo Caravaggio – „Amor als Sieger“
(Caravaggio: 1571 – 1610)

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In Gedenken an Hans-Detlev Brandt

Hand in Hand gingen Detlev und ich durch die Gemäldeausstellung. 1949 in Wiebaden. Da war der berühmte Mann im Goldhelm von Rembrand van Rijn, ein junger Mann saß davor mit einer Staffelei und kopierte das Bild, malte es ab. „Das ist eine Übung während seines Studiums“ sagt unser Lehrer. „So lernt er das Bild in vielen Tiefen kennen.“

Detlev legt meinen rechten Arm um seine Hüfte, er ist ja einen Kopf größer als ich. „Ist das nicht wundervoll, daß Herr L. uns diesen Gang ermöglicht hat?“ In einer kleinen Halle hängt allein ein Bild von einem nackten Jungen, der siegesgewiß ein paar Pfeile in der rechten Hand hält. „nackt, wirklich sehr nackt – und schön,“ sagt Detlev. „... so schön jungenhaft bin ich nun nicht mehr.“ Lange bleiben wir vor dem Bild, wandern hin und her und sehen es von verschiedenen Winkeln an. Ich weiß wie schwarz und dicht behaart Detelev´s Beine sind und möchte das nie an mir haben.

„Amor als Sieger“
Bild um 1600 *)
„Amor Vincit Omnia – Amor besiegt alles“

„Ach nun möchte ich mal andere Gemälde sehen, wozu sind wir sonst hier,“ sage ich und ziehe Detlev weiter bis wir die anderen treffen, sie stehen vor dem Goldhelm. Und bewundern den Kopierer.

Detlev streicht mir über den Kopf, „siehst du auch so schön aus wie der Sieger?“ Ich sage, „sehe ich so schön aus?“ Die anderen unserer Gruppe aus dem Internat sind etwas älter als ich, ich bin erst 14 geworden und der Jüngste. Detlev ist 18 und schon recht groß. Bald wird er das Abi machen und dann aus dem Internat verschwinden. Er will Kunst studieren. Herr L. hat mit uns diese Reise zur Ausstellung gemacht. Ich bin ganz begeistert von dieser Reise, denn Herr L. ist unser Kunstlehrer und weiß viel zu berichten über diese Bilder. Und irgendwie sind wir alle Freunde in dieser Gruppe, acht Schüler aus unserer deutschen Schule in der Lorraine, ältere und jüngere, ich wie gesagt der jüngste. Die Kunst ist unser gemeinsames Thema, Lieblingsthema. Und nun diese Ausstellung – und nun dieses Bild des Siegers.

Bisher sah ich Kunst als etwas vom normalen Leben recht Abgehobenes, schön aber nicht eigentlich echt. Doch dieses Bild berührt mich sehr. Äußerlich ist es auch nicht echt, aber es berührt so manche Gefühle, auch starke Gefühle, besonders Gefühle von Körperlust. Das ist was sehr Echtes. Immer wieder muß ich hingehen, und am Eingang kaufe ich mir ein Büchlein über die Ausstellung, in dem eine Kopie des Siegers ist. Detlev ist ebenso berührt, und immer wieder vergleicht er mich mit dem Jungen von Caravaggio, „ich möchte dich auch mal so sehen, und dann malen – ob ich schon so gut malen kann?“ Und so nackt, ohne alle diese Kleidungssachen. Ich habe da wenig Scham, würde das wohl mitmachen, obwohl ich noch recht kindlich aussehen würde. Ich sollte meinen Körper mal ausführlich im Spiegel ansehen. In den Ferien zuhause, dort hat meine Mutter hat einen dreifältigen Spiegel, um sich auch seitlich sehen zu können.



 „Obwohl du dich für diese Reise sehr schön angezogen hast, der Schönste von allen.“ Was habe ich denn an? Nichts Besonderes, wie fast immer, oder etwas jugendlicher als sonst: der einzige von uns in kurzen Hosen, schwarze Cord-Hosen, und bein-lange, beige Strümpfe, rosa Schisocken – so weit zu den Beinen. Und oben einen hellgrauen Pullover, und das orange Halstuch, das Detlev mir für diese Reise geschenkt hat, Seide! Ich weiß, was Detlev mag, und ebenso habe ich mich angezogen. Er mag es, wenn ein Junge lange Strümpfe trägt. Er versucht immer wieder, die Jungen in unserem Internat davon zu überzeugen, und manche machen auch mit.

Bald trifft sich unsere ganze Gruppe vor dem Sieger-Bild. Herr L. fragt uns, was wir empfinden. Detlev bemerkt, „wenn ich dieses Bild sehe, fühle ich mich dem Amor sehr nahe, und ...“ er zögert, “und ich fühle mich meinem Freund Stefan (das bin ich) sehr nahe.“ Er wird rot, und Herr L. sagt, „du bist verliebt in ihn, nicht wahr? – in den Amor oder in Stefan?“ „in beide, aber Stefan ist lebendig, doch der Amor da wird nicht alt und erwachsen, er bleibt immer ein Kind. Er bleibt so süß. Ich werde mir einen Druck aufhängen und drunterschreiben, das ist Stefan´s Seele.“

Das macht mich sehr verlegen, und ich sehe die beiden anderen aus meiner Klasse an, wie es ihnen wohl ergeht. Jeder berührt den Arm eines der Älteren und ist auch rot und verlegen, alle merken, es geht uns alle an. „Seht, DAS ist Kunst, wenn es einen direkt angeht. Caravaggio ging das auch alles an, er war ein sehr emotionaler Maler, allerdings hat er auch gestritten, gefochten, gesoffen, gehurt, aber ich denke, er hat auch Knaben geliebt, jedenfalls wenn ich seine Bilder ansehe, kommt mir dieser Eindruck. Und Mädchen - denkt an Judith, wie sie den Holofernes umbringt, das ich euch neulich zeigte - so viel Kraft, sein kraftvollstes Bild, denke ich.“

„Und er wurde auch schon zu seiner Zeit wegen dieser Bilder kritisiert, wie heute auch. Doch niemand hat wohl abgestritten, daß er ein vortrefflicher Maler ist. Und wenn er auch das Verwerfliche gemalt hat, oder das Grausame ..."

Detlev nimmt mein Gesicht in seine Hände und steichelt meine Wangen – „sieh, das hat der Maler gewiß auch getan“, und er küsst mich auf eine Wange und geht verlegen wieder zur Seite. Im Museums-Caffee spendet Detlev mir ein Stück Kuchen und eine Tasse Kakao. Doch er selbst nimmt nichts und sieht mich andauernd an. Ich weiß nicht wie ..., wohl sehnsüchtig? „Was möchtest du jetzt?“ frage ich ihn. „Ich freue mich an deiner hellen Stimme, und ich bin schon traurig, weil du bald eine tiefere Stimme haben wirst, so wie ich auch.“

„Ich möchte dich gerne mal singen hören – so lange es noch geht,“ sehnt sich Detlev später. Da sitze ich auf einem Caffee-Stuhl und habe ein Bein übers andere geschlagen – „ich sehe, wie du mich ansiehst, wie du mir ins lockere Hosenbein siehst,“ „ja es ist etwas Besonderes, ... ein bißchen nackte Haut ...“

Verlegen sagt er, „und diese Nacht in der Jugendherberge möchte ich gerne, daß wir zusammen in einem Bett schlafen, einfach ganz dicht aneinander liegen und unsere Körper spüren. Deinen hellen Atem hören, dein helles, leichtes Schnarchen und so weiter. Möchte dir über die Haare streichen.–

Und ich möchte dich gerne nackt sehen, so wie der Armor, und wenigstens ein paar Fotos machen, für später, wenn sich das alles geändert hat. Dann kann ich dich mal malen, nach den Fotos, denn das muß ich erst noch lernen, so ein Naturtalent wie der Caravaggio bin ich ja nicht.“

Unsere Gruppe hat ein eigenes Zimmer in der Herberge, fünf übereinander gestellte Doppelbetten, recht schmal. Herr L. schläft im Lehrerzimmer. Abendessen, nachher ein Gang in die Stadt, an den Rhein, zu Bett – doch wir spielen uns alle nochmal den Amor gegenseitig vor. Detlev sagt, „heb´ doch wenigstens dein Nachthemd nochmal hoch. Damit ich weiß, mit wem ich zusammen schlafen werde – willst du noch?“ Ich lasse meine Strümpfe an und auch den Strumpfhaltergürtel, das hat etwas von Richtigkeit an sich. Ja, das Nachthemd hebe ich hoch und setze mich auf die Tischkante. „Du hast da ja ein paar dunkle Haare, das zieht den Blick richtig an. Ich kann gerade nicht wo anders hingucken. Laß dein Hemd wieder runter, daß ich dir wieder ins Gesicht sehen kann.“

Ich lege mich ins Bett und hole mir die Decke aus meinem Bett. Detlev kommt gleich und sagt, „du mein süßer Amor – du bist auch ein Sieger, hier im Bett, der Sieger über mich.“ Und er steichelt mir unter dem Nachthemd über den Bauch und an den Schenkeln. „Die Kunst des Caravaggio hat mich sehr ergriffen, merkst du´s?“ „Ja, ich merke es, aber mich auch – über dich, über deine Gefühle für mich.“

Ich schlafe ein, und am Morgen sagt Detlev, „ich habe die ganze Nacht dein Gesicht angesehen, konnte kaum schlafen, die Straßenlaterne hat hereingeschienen. Es sah so wundervoll aus, diese schlafenden Kinderaugen ... oder als du dich umgedreht hast, habe ich deine blonden Haare angesehen und ihren Duft gespürt.“


Am nächsten Tag noch mal im Museum. Ein älterer Mann beobachtet uns eine Weile, sagt ein paar Worte: „Oft denke ich daran, ein Junge ist eine besondere Art Mensch, nur für ein paar Jahre, und dann ist er ein Mann, schon lange kein Knabe mehr. Knabe ist etwas ganz Besonderes, so wie du gerade in diesen Jahren. Kannst du das auch genießen?“ „Ja, kann ich, weil Sie mir das sagen, mich darauf aufmerksam machen, weil ich meinem Freund hier Freude machen kann, ich liebe ihn doch auch. – Es ist mir aber auch wichtig, daß die Größeren mit meiner Art sehr sorgfältig und liebevoll umgehen. Daß sie diese meine sehr empfindsame Art als etwas sehr Wertvolles achten und schätzen. Daß ich diese Zeit in guter Erinnerung behalte ...“

„Dann hat Caravaggio ja etwas ganz Wertvolles getan, hat etwas sehr Wertvolles begonnen,“ sagt der Mann und geht weiter.

„Dann hat er etwas Großes für die Liebe getan,“ sagt Detlev auch.

Sehr erfreut bin ich hinterher, daß ich diese Gabe bekommen habe, einen Menschen auf diese Art glücklich zu machen, fühle mich gesegnet. „Doch dir wurde auch eine Aufgabe ins Leben mitgegeben, deine Schönheit den anderen mitzuteilen, sie teilhaben zu lassen, dich zu öffnen.“ Das sagt später bei der Nachbesprechung Herr L., dem ich ebenso danke wie dem Caravaggio, wir hatten gerade über solche Wirkungen von Kunst gesprochen.

Einige Jahre später ist Herr L. bei einem Motorrad-Unfall gestorben. Wie ich das höre, war ich schon 25 und habe ihm mein Gedenken in Dankbarkeit gewidmet – und heute diese Gechichte geschrieben.

am 19. Januar 2011 von Aryaman


So viel Gold! Ich hätt´s auch gegeben. *)

So sah Caravaggio aus.



*) Öl auf Leinwand, 156x113cm, Gemäldegalerie, Staaliche Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz

Nachbemerkungen: Mit meiner Knaben-Gruppe ("Familie" genannt) war ich 1949 mit 16 in dieser Ausstellung und habe mich tief berühren lassen von Caravaggios´s Amor, Herr L. war unser Kunstlehrer, doch Herr  Z. hat uns nach Wiesbaden geführt. Die Nähe zu Detlev hatte ich allerdings in Wirklichkeit nicht - er war mir zu erwachsen.





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